Die Serie „Agile HR“ gibt Impulse, wie Sie im und aus dem HR-Bereich heraus agile Prinzipien ausprobieren und vorleben können.
Die Autoren des agilen Manifests haben basierend auf den in Teil 1 genannten Werten 12 Prinzipien definiert. Ich verzichte an dieser Stelle darauf, alle zu nennen. Sie finden dazu zuhauf Informationen im Netz.
In diesem Artikel richte ich das Augenmerk auf Prinzip 5, weil es für mich einen zentralen Aspekt der agilen Haltung widerspiegelt:
„Errichte Projekte rund um motivierte Individuen. Gib ihnen das Umfeld und die Unterstützung, die sie benötigen und vertraue darauf, dass sie die Aufgabe erledigen.“
Grundlage einer agilen Haltung ist Vertrauen in die Motivation jedes/jeder Mitarbeitenden und in die Bereitschaft, Wissen und Engagement ins Unternehmen einzubringen.
Dies entspricht dem Menschenbild Y nach der XY-Theorie von Douglas McGregor:
Die Theorie X nimmt an, dass der Mensch von Natur aus faul ist und versucht, der Arbeit so gut es geht aus dem Weg zu gehen. Prinzipiell ist er von außen motiviert; das heißt durch extrinsisch ausgerichtete Maßnahmen zu belohnen beziehungsweise zu sanktionieren.
Im Gegensatz dazu geht die Theorie Y davon aus, dass der Mensch durchaus ehrgeizig ist und sich zur Erreichung sinnvoller Zielsetzungen bereitwillig strenge Selbstdisziplin und Selbstkontrolle auferlegt. Er sieht Arbeit als Quelle der Zufriedenheit und hat Freude an seiner Leistung. Auch Verantwortungsbewusstsein und Kreativität prägen dieses Menschenbild. (Quelle: Wikipedia)
Die XY-Theorie geht davon aus, dass Glaubenssätze und Annahmen, die ich über Menschen habe, wie eine selbsterfüllende Prophezeiung das entsprechende Verhalten unterstützen. Wenn ich die Annahme X habe, werde ich meine Mitarbeiter*innen mit strengen Vorgaben und Kontrolle führen. Dies führt in den meisten Fällen zu einem passiven, wenig engagierten Arbeitsverhalten, was meine Annahme als richtig erscheinen lässt.
Manchmal ist uns die „Denke“, die hinter manch gewohnter Handlungsweise liegt, gar nicht bewusst. Auch die gut gemeinte rechtliche Absicherung für alle Eventualitäten steht oft im Widerspruch zu einer vertrauensvollen Haltung.
Von daher ist der erste Schritt, sich selbst – oder gemeinsam im Team – mit dem Spannungsfeld von Vertrauen und Kontrolle auseinanderzusetzen und zu reflektieren. Eine Haltung von Vertrauen kann ich nicht verordnen, aber wer möchte kann sie nach und nach einüben.
Dazu tauschen wir uns ausführlich in unseren Praxistrainings „Agile HR“ aus. Informieren Sie sich hier über unsere nächsten Termine.
Welche Haltung spiegeln unsere Richtlinien, Führungsinstrumente und HR-Systeme wider?
Es geht mir an dieser Stelle nicht um ein Richtig oder Falsch, sondern lediglich um die reflexive Auseinandersetzung. Nachfolgend ein paar Beispiele:
Menschenbild X | Menschenbild Y |
In der IT-Richtlinie sind Sanktionen zu Passwort-Verletzungen verankert. | Mitarbeitende erhalten Schulungen und praktische Tipps wie sie Passwort-Systeme nutzen, sich merkbare Passwörter zulegen, auf USB-Sticks Passwörter legen können etc. |
Als Anreiz zur Zielerreichung wird diese mit einem individuellen Bonus verknüpft. | Die Teamleistung steht im Fokus. Die Mitarbeitenden werden am Unternehmenserfolg beteiligt. |
Die Zeiterfassung ist darauf ausgerichtet, z.B. Zuspätkommen zu registrieren und zu sanktionieren. | Die Zeiterfassung dient der Flexibilisierung der Arbeitszeit. Die Mitarbeitenden gestalten ihre Arbeitszeit eigenverantwortlich so, dass sie ihre Arbeit „im Griff haben“. |
Kontrolle und engmaschige Controlling-Systeme führen nicht selten zu seltsamen Auswüchsen. So kennen viele Firmen das jährliche End-Jahres-Spiel vom „noch schnell Geld ausgeben“ aus Angst, dass sonst die Budgets im nächsten Jahr noch stärker gekürzt werden o.ä.
Ein schönes Beispiel hat auch Frederic Laloux in seinem Buch „Reinventing Organizations“ beschrieben (S. 80 ff):
„Kurz nachdem Zobrist Geschäftsführer [von FAVI, einem französischer Automobilzulieferer] geworden ist, gab er ohne Vorwarnung die Zeitmessung und die Produktionskontrolle auf. … Er glaubte felsenfest an die Kraft des Vertrauens … Es zeigt sich aber, dass sich die Produktivität nicht verringerte, sondern zunahm! Als Zobrist die Zahlen sah, sprach er mit den Maschinenbedienern, um zu verstehen, was geschehen war. Sie sagten ihm, dass es beim Bedienen einer Maschine einen natürlichen Rhythmus gibt, der den Körper am wenigsten ermüdet. Im alten System mit den stündlichen Zielvorgaben haben sie absichtlich langsamer gearbeitet. Sie gaben sich selbst etwas Spielraum, falls das Management die Zielvorgaben erhöhen sollte…“
Nun, Vertrauen zu leben ist herausfordernder als Kontrolle auszuüben. Gerade in Momenten der Enttäuschung zeigt sich, wie ernst wir es damit meinen.
Dazu folgende Anekdote, die mir ein Bekannter über seinen „bisher besten Chef“ erzählte: Dieser hatte eine Kasse mit 1.500 EUR Bargeld, die für alle Mitarbeiter*innen zugänglich war, um kleine Ausgaben selbständig abzurechnen. Irgendwann wurde eine größere Summe Geld aus der Kasse entwendet. Der Geschäftsführer thematisierte in der Belegschaft das Misstrauen, welches über die Frage „wer war das“ entstünde. Gleichzeitig machte er deutlich, dass er sich durch diese Tat nicht davon abhalten lasse, weiterhin Vertrauen in seine Leute zu haben. Er bat die Person, die das Geld entwendet hat, dieses in einem Umschlag anonym zurückzulegen. Und das geschah dann auch.
„Nur wenn wir Wandel ganzheitlich angehen und die innere Transformation mit einbeziehen, kann er gelingen… Wenn Unternehmen den Spielraum für Individuen vergrößern – ihnen mehr Freiraum und Verantwortung geben -, bedarf es eines Kompetenzaufbaus, einer menschlichen Reifung, im Zuge derer Mitarbeiter [wieder] innerlich stärker und selbstbewusster werden.“ (Quelle: New Work needs Inner Work, S. 18)